Clown auf Durchreise

Wenn er guter Dinge war nahm der Clown einen Kugelschreiber, malte ein Mondgesicht auf seinen vom vielen Schweissen mächtig gewordenen Oberarm, stellte sich in Muskelmannpose vor die Kinder hin und spannte seinen Bizeps an, so fest wie er konnte. Das Mondgesicht verzog Mund und Augen zu einem Grinsen. Die Kinder kugelten sich vor Lachen.

Wenn er einen guten Tag gehabt und nicht zuviel Bier getrunken hatte, nahm der Clown nach der Arbeit ein dickes Stück Eisendraht und schweisste daraus zum Spass Donald Duck, Micky Maus oder eine schnörkelige Blumenampel, die man an die Wand nageln, Geranientöpfe hineinstecken und sich daran freuen konnte. Eigentlich war er nämlich Kunstschlosser.

Wollte er die Kinder zum Lachen bringen, blies er auf einem Grashalm. Man musste genau wissen, welche Grashalme sich dafür eigneten, scharfe Ränder mussten sie haben, so dass man sich damit in die Zunge hätte schneiden können. Breit mussten sie sein, und länger als die eigenen Hände, damit man den Halm auch ordentlich einspannen konnte dazwischen, wie ein Stimmband oder eine Saite. Pfauenschreie und krähende Hähne imitierte der Clown mit seinem Grashalm. Noch weit schrägere Töne entlockte er allerdings seiner Maultrommel, die er so oft er konnte zwischen die Zähne klemmte. Ein kleines Instrument das tönte, als würden sich Österreich und Australien auf halben Wege zu einem bisschen Hausmusik treffen.
Spielte er aber auf seiner Gitarre, dann klangen die Töne anders. Ruhiger und sanfter. So, dass den Kindern ganz komisch zumute wurde manchmal, und man hätte eine Stecknadel fallen hören können, wenn die Gitarre diese nicht übertönt hätte, so andächtig lauschten sie dem Spiel des Clowns.

Wenn er übermütig genug war, zeichnete der Clown unter das allergrösste Eselsohr im Schulheft eines der Kinder ein Strichmännchen, das stand ganz gerade, wie ein Soldat. Und obendrauf auf das Eselsohr zeichnete er ein weiteres Strichmännchen, dessen Arme und Beine ausgebreitet waren, sodass es da stand wie ein X mit Kopf. Dann rollte er das Eselsohr über einen Stift und bewegte den schnell hin und her, bis man sehen konnte, wie das Strichmännchen Hampelmannsprünge machte. „So wird der Lehrer hüpfen, wenn er das Eselsohr hier sieht.“, sagte der Clown dazu. Die Kinder glucksten. Und hielten den Clown für einen Zauberer.

Am spannendsten aber waren die Sonntage. An Sonntagen musste der Clown nicht zu seiner harten Arbeit und es gab ausserdem weich gekochte Eier zum Frühstück. Weil die der Clown so gern mochte und weil er sich einen Spass machen wollte, löffelte er manchmal, während er dabei war den Tisch zu decken, rasch das Ei eines der Kinder leer. Dann steckte er die nunmehr hohle Eierschale mit der geköpften Seite nach unten in den Eierbecher.
Die Kinder wussten schon was gespielt wurde, wenn sie ihn da sitzen sahen, grinsend, meist sogar mit etwas Eidotter am Kinn. Sie zappelten vor Spannung, wenn sie ihre Frühstückseier aufklopften, denn jenes, das sein Ei leer vorfinden würde, durfte den restlichen Tag über bestimmen, was angestellt werden würde und war noch dazu vom Küchendienst befreit. So waren die Regeln, gegen die keiner was einzuwenden gehabt hatte. Natürlich versuchten die Kinder anhand des Aussehens herauszufinden, ob man das hohle Ei erwischt hatte oder nicht, aber der Clown ging stets sorgfältig vor, bei seinem Täuschungsmanöver und meinte dazu nur: „Merkt euch das. Von aussen sieht man nicht, ob jemand ein hohles Ei ist.“
Die Kinder konnten nur vermuten. Und je nach dem, ob einem der Sinn nach weichem Ei stand oder es lieber auf den Küchendienst verzichten wollte, wurde spekuliert, verhandelt und regelrechte Tauschgeschäfte wurden abgeschlossen. Zuweilen ging es hoch her am Frühstückstisch.
Man hätte meinen können, ein illegaler Hütchenspieler sei unter den Kindern, so behände wie die Eierbecher die Seiten wechselten.

Gerade als die Kinder sich an den Clown so recht gewöhnt hatten und sich die Tage nicht mehr ohne ihn denken wollten, zog er weiter. So sind Erwachsene. Sie gehen immer dorthin wo das Geld ist, das sie verdienen müssen. Eine große Baustelle in einer entfernten Stadt brauchte Schweisser. Halle hieß die Stadt. Halle an der Saale. Das reimte sich, fanden die Kinder.
Der Clown schrieb ihnen einige Male von dort. Er berichtete von Autos aus Karton und von Straßen, die so viele Löcher wie ein Emmentalerkäse hätten, und wenn man nicht höllisch aufpasste, würde man mit seinem kleinen Kartonauto in eines der Löcher fallen und auf der anderen Seite der Welt, in Australien oder auch in China wieder herauskommen. So schrieb der Clown und die Kinder lasen sich gegenseitig die Briefe vor.

Nicht lang, und die Briefe blieben aus.
Es lohnt sich meist nicht nachzufragen warum Briefe ausbleiben.
So ist das eben.
Vielleicht hatte der Clown auch einfach nicht Acht gegeben und war mit seinem Auto in ein Loch gefallen und in China gelandet.
Oder in Australien.


--Für Sonja und Mirjam--

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