Dienstag, 27. Juni 2006

Honigbrot bei Frau Felsberger

Heutzutage heissen Kinder Kids und haben eine Peer Group.
Hat mit Bier nichts zu tun. Die Peer Group besteht idealerweise aus ebensolchen Kids wie den eigenen, die in der ähnlichen Liga spielen, wenn’s leicht geht.

Die Peer Group dieses Kindes hieß Frau Felsberger, trug bei Regen wie bei Sonnenschein schwarze Gummistiefel, vorzugsweise in gedeckten Blautönen gehaltene Kittelschürzen, dazu Kopftuch mit darunterliegendem Haarknoten. Klassisch grau war der. Die Alte konnte einem Archetypenkatalog entstiegen sein, aber das wusste das Kind damals noch nicht und es wäre ihm auch gleich gewesen. Kopftuch war zu der Zeit weder verpönt noch verboten, im Gegenteil. Die Frauen trugen es bunt und wild gemustert, als einzige kleine Freiheit, die sie sich an ihrer Alltagstracht gestatteten, und knöpften es ganz im Rumänische-Bäuerinnen-Stil hinten im Nacken.
Dieser Look galt bei den älteren und noch nicht so alten Frauen der Gegend als angemessen und bedeutete, stets den Umständen entsprechend gekleidet zu sein.

Frau Felsberger und das Kind wurden Freundinnen, wie von selbst.
Es war klar, sie spielten in der gleichen Liga, ohne sich darüber lang oder breit austauschen zu müssen. Sie teilten die Interessen und Frau Felsberger vor allem ihr Honigbrot mit dem Kind, jedesmal wenn dieses sie in ihrem kleinen Garten besuchte. Dort saß sie dann auf der verwitterten Holzbank hinter dem bemoosten Holztisch, in ihrem Rücken die übereinandergestapelten Kaninchenställe, in denen ihrerseits die schwarzweissgescheckten Tiere hockten. Eine der gemeinsamen Interessen war, den Kaninchen dabei zuzusehen, wie sie fett wurden. Das Motiv der beiden hierfür dürfte durchaus unterschiedlich gewesen sein. Man machte darüber nicht viel Worte. Das Kind erstaunten die unterschiedlichen Geräusche die entstanden, je nachdem ob Löwenzahnblätter oder frisch gezupfte Möhren verfüttert wurden, nicht genug konnte es bekommen davon, den Bewegungen der Kaninchenschnauzen zu folgen. Frau Felsberger hingegen konnte nicht genug davon bekommen, dem Kind dabei zuzuschauen, wie es sein Honigbrot aufaß.
Mit dem Honig hatte es etwas besonderes auf sich, er war selbstgemacht. Jeder Honig ist das natürlich, in erster Linie von den Bienen. Aber dieser hier war auch eigenhändig geschleudert, von Frau Felsberger.
Und das Brot, auf das Frau Felsberger den Honig schmierte, nicht ohne eine dicke Schicht gelber Butter darunterzulegen, das Brot war himmlisch. Es war die Scheibe Brot, die den Honig ausmachte. Kein Backmischungsmist, wie man ihn in Supermärkten als Kärntnerbrot verhökert, nur dunkler würziger Teig, mit noch dunklerer harter Kruste rundherum. Im Ganzen hatte der Laib gute vierzig Zentimeter Durchmesser.

Das Kind schaute Frau Felsberger zu, wie die gemächlich eine Scheibe davon abschnitt, das gehörte zu ihrem freundschaftlichen Honigbrotritual. Manche alten Frauen können das noch: sie klemmen den halbierten Laib in die Ellenbeuge und schneiden mit dem Messer in einem einzigen wohlgerundeten Zug das ganze Stück ab. Perfekt fingerdick und ohne einen Schnitzer der danebengegangen wäre. Dann bestrich Frau Felsberger das Brot um es zuletzt in zwei gleich große Hälften zu teilen. Alles geschah in honiggleicher Langsamkeit. Um die alte Frau und das Kind spannte sich eine Blase Zeitlosigkeit.
Zwanzig Zentimeter Honigbrot für das Kind. Und es vertilgte stets alles bis zum letzten Krümel, wiewohl es sonst kaum etwas herunterbrachte tagaus und ein, und die Mutter schon verzweifeln wollte ob der dürren Vogelbeine des Balgs. Es aß das Honigbrot von Frau Felsberger so: zuerst wurde der weiche Teig mit der dicken Honigbutterschicht aus der Mitte der Schnitte genagt. Von Innen nach aussen fraß es sich durch, wie ins Schlaraffenland. Dafür benötigte es zwanzig genussvolle ungestörte Minuten. Frau Felsberger und das Kind sprachen nicht, sondern aßen nur und lächelten sich an, hie und da . Danach hatte das Kind nur noch das allerbeste, aufgehoben bis zum Schluss, auf seinem Jausenbrett: Die vom Honig angesüßte harte Brotkruste. Die verspeiste es zuletzt. Frau Felsberger mochte das.
Selber schnitt sie sich die Hälfte ihres Honigbrotes in lauter rechtwinkelige feinsäuberliche Teilchen um die nach und nach in einer gezierten Art zu essen, die gar nicht zu ihrem Aufzug passte. Das mochte das Kind.
So sahen sie sich gegenseitig zu. Und redeten nichts.

Frau Felsberger tat aber noch etwas anderes, mit der ihr eigenen peniblen Pünktlichkeit, bis das Kind beinahe schon erwachsen war und das Weite suchte. Sie schenkte ihm wöchentlich die Jugendbeilage ihrer Tageszeitung, und versüßte dem Kind so nicht nur das Essen sondern auch das Lesen. Die Beilage der Zeitung hieß Dingi und erst viel später erfuhr das Kind, was ein Dingi ist. Frau Felsberger machte nie viel Worte. Und das Kind dachte deswegen für lange Zeit, und das schien ihm durchaus einleuchtend, ein Dingi sei einfach nur ein kleines Ding.
Als das Kind später, als Erwachsene, den Allervordersten eines Liebhabers einmal zärtlich Dingi nannte (und dabei kurz an Honig und Frau Felsberger denken musste) war der fortan sehr stolz auf sein Beiboot.

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Scheitern...

beim Versuch zur Kaffeetasse durchzukommen.
Hommage an Caspar David Friedrich.

Wust

http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Caspar_David_Friedrich_006.jpg

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