Carlas Vermächtnis

Was sollte er mit einem Sofa, fragte Bernhard sich missmutig. Noch dazu mit diesem.
Ein Monstrum in gruseligem Grün. Für das man eine eigene Wohnung anmieten müsste,so hemmungslos raumgreifend wie es war. Er hatte das Ungetüm noch nie leiden können, das hatte Carla wohl deutlich genug mitgekriegt.
Carla. Erst ihr überraschender Abgang und nun kam sie ihm noch postum mit diesem Möbel, vermachte es ihm, mir nichts, dir nichts.

Seit sie sich vor gut einem Jahr getrennt hatten, war er in einem Aufwaschen mit ihr auch ihren bescheuerten Geschmack losgeworden. Hatte sich und seine Wohnung neu eingerichtet. Nun klebte dieses Ding erneut an seinem Arsch.
Es war klar, sie hatte ihm eins auswischen wollen.

Um den Scheinfrieden und das Gesicht zu waren, hatte er es übernommen. Gleich, nachdem die Gesellschaft zum Zwecke der Testamentseröffnung (eine Farce, in seinen Augen) als aufgelöst galt, war er, die höhnischen Blicke ihrer Verwandtschaft im Rückspiegel einfangend, losgefahren zu Carlas Wohnung um von dort aus einen Möbelwagen zu bestellen und das Sofa, das aussah wie ein bösartiges Geschwür mit pelzigem Belag, verladen und zu sich nach Hause bringen zu lassen. Wer dabei wohl mehr verladen wurde, fragte er sich, bitterlich grinsend.

Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss. Den, der sich diesen Unsinn hatte einfallen lassen, wollte er gerne kennen lernen. Wenn man ihn fragte, war sein Leben ein langer zäher Kaugummi und irgendwer kaute darauf herum, und zwar nicht er selbst, soviel war sicher. Kaute darauf herum, speichelte ihn ein, schob ihn mit schwerer Zunge hin und her und fabrizierte Blasen, die derjenige, der Kauer, manchmal sogar mit unauffälligem Plopp platzen ließ. Und wenn der Kaugummi ausgelutscht genug war, spuckte man ihn ins Eck. So sah Bernhard das.
Das einzige von Wert in ihrem Nachlass, die Aktien, hatte Carla ihrer Schwester und deren windigem Mann vermacht. Mit den Worten: „Nicht, dass ihr damit sonderlich gut haushalten können werdet, denn wer so alt und so glücklich geworden ist ohne Geld, der wird den Umgang damit zeitlebens nicht mehr lernen, dennoch dürfte es euch beiden nicht schaden, ein bisschen was davon zu besitzen.“ Was dachte Carla sich? Tote dürfen alles? Und wie lautete die Gebrauchsanweisung, die sie dem ihm zugedachten Erbstück fürsorglich beigepackt hatte?: „So, wie ich Dich kenne, wirst Du noch viel Freude daran haben.“
Besonders gut schien sie ihn nicht zu kennen.

Während der Notar Carlas Worte viel zu langsam vorlas, triefte der Spott aus dem Sammelbecken ihrer Familie und gerann zu ätzender Kruste in Bernhards Befindlichkeit. Die würde er sich nachher gründlich herunterspülen müssen. Verlogene Bande. Sterbensfroh war jeder Einzelne, nicht selbst als Erbe dieses vulgären aber teuren Stücks eingesetzt worden zu sein.

Gemeinsam schleiften der Fahrer des Möbelwagens und er das Ding in Bernhards Appartement, wuchteten es mitten ins Wohnzimmer.
Der nagelneuen, vornehm blassen Couch von B&B gegenüber, zwischen Tisch und LCD-Bildschirm, stellten sie es ab. Und da stand es nun, grün und abstoßend. Anstelle eines Vorwurfs. Bernhards neue Couch beleidigend. Als aussenstehender Dritter musste man unweigerlich annehmen, die beiden Möbelstücke gäben sich ein Duell in Bockstarren. Bernhard ließ sich resigniert und sackschlapp auf sein neues B&B fallen und stierte den Eindringling nun gleichfalls an. So saßen sie denn eine ganze Weile, glotzend, zwei gegen eins, gewiss ungerecht, aber vielleicht würden sie das Ding auf diese Weise klein kriegen.

„Ich weiß genau, was du denkst.“, brummte etwas unvermittelt in Bernhards Kopf. „Ach, ja?“ Bernhard antwortete laut, ohne sich dessen bewusst zu sein. „Sicher, Mann. Du denkst: morgen verscherble ich das Ding auf dem Gebrauchtmöbelmarkt und hole dafür noch soviel wie möglich raus. Und sollte es wider Erwarten keinen Spinner geben, der es haben will, lass ich den Sperrmüllwagen auffahren. Stimmt's? Das denkst du doch!“
„Na, und wenn schon!“, hörte Bernhard sich blaffen und stutzte zugleich, fühlte sich nun doch unangenehm ertappt bei einer Angewohnheit, die eigentlich nur die verkrachten, die einsamen Existenzen an sich hatten: Selbstgespräche!
Soweit war es also. War es so weit?
Gleich morgen, nahm er sich vor, würde er seinen Hausarzt anrufen, ihn auf eine längst fällige Partie Golf einladen, einen Termin in dessen Praxis vereinbaren, vielleicht.
Es konnte nur an der Anspannung der vorangegangenen Wochen liegen, würde er ihm erzählen. Der Tod seiner Exfrau. Die Beisetzung und das verflixte Testament. Aber bis dahin: Whiskey. Das war es, was Bernhard und seine überstrapazierten Nerven jetzt brauchten.

Er stand auf, um sich ein Glas und die Flasche Single Malt aus der Bar zu angeln, schenkte sich auf dem Weg zurück zur Couch ordentlich ein und nahm noch im Gehen den Mund ziemlich voll. Diese Melange aus Wärme und Hitze, aus Streicheln und Reinhauen. Er verfolgte, wie sie sich ausbreitete, vom Hals über den Magen, im Durchlauf die Bronchien vorglühend, bis in die entlegenen Winkel seiner Eingeweide,
und plumpste diesmal nicht auf sein B&B sondern auf das grüne Ding, nur zum Spaß.
Das federte ein paar Mal nach, als wollte es ihn verschaukeln.
„Keine Sorge, Mann!“ tönte es von irgendwoher, „das sind keine Selbstgespräche, du bist ganz in Ordnung, wenigstens im medizinischen Sinne.“
„Was...!“ Bernhard wurde sichtlich nervös. Höchste Zeit dafür. „Was... zum Henker!“
Er drehte misstrauisch die Flasche auf dem Tisch und das Glas in der Hand, was am Stand der Dinge aber nichts änderte. Soviel hatte er nicht getrunken, dass das vorkommen durfte: Halluzinationen. Das Wort blähte sich wie ein Leintuch (Leichentuch, Schreckgespenst) in seinem Hirn.
„Ach was, Unsinn. Halluzinationen! Selbst wenn du wolltest, wie du ohnehin nicht kannst, hättest Du keine Halluzinationen! Dafür reicht deine Fantasie nicht hin, mein Freund.“
Bernhard spürte Unwillen in sich hochkochen. Die ganze Wärme des Whiskeys schien sich im Rückwärtsgang in Marsch gesetzt zu haben, schnurstracks Richtung Schädeldecke.
Was erlaubte sich dieser Wicht, dieser, wer eigentlich?
„Und drück gefälligst Deinen Arsch nicht so platt auf mir.
Ich bin wahrlich besseres gewöhnt!“
Bernhard starrte kurz und schmerzvoll auf das dreieckige Stück grünen Stoffs zwischen seinen Oberschenkeln bevor er aufsprang und sich den Hosenboden wischte, als wäre er die längste Zeit in einem Ameisenhaufen gesessen.
„Obwohl, der nackte Hintern von diesem Koch...“ , tönte es weiter, „der war auch immer wieder ein starkes Stück. Jedes Mal wenn Carla kurz hinaus ist, ich meine, du weißt schon, Frauen, die rennen doch immer gleich ins Bad und so, dann hat der Koch gefurzt. Was sag ich, gefurzt, so richtig fett einen Koffer abgestellt hat der.“ Die darauf folgende effektvolle Pause ließ Bernhard Zeit für eine kurze Schreckstarre. „Und das Gewicht dieses Kochs mit der drallen Carla obendrauf, ich sag’s dir, das war auch nicht ohne. Da krachten die Scharniere! Mein lieber Sch... “
„Welcher Koch?“, entfuhr es Bernhard und er fasste sich dabei an seinen sich schüttelnden Kopf, der wohl ahnte, dass er sich soeben einen nicht kalkulierten Streich spielte, mit ihm selbst in einer Hauptrolle, von der er noch nicht genau wusste, was die darstellen sollte.
„W-welcher Koch? Der N-nachbar? Der von G-gegenüber, damals, als Carla und ich noch..?“
„G-genau d-derjenige, mein Freund. Kennst Du einen anderen, der mich Prachtstück erschüttern könnte? Na ja, nun, als Carla und ihre Freundin Babsi, ich meine, zwei blanke Pfirsichärsche zugleich auf meiner sensiblen Federung, das war schon auch erschütternd, irgendwie. Nur eben anders, wenn du verstehst was ich..“ Der Wortfluss erstarb, als Bernhard mit nach vorn gereckten Armen als wäre er in einen jämmerlichen Zielsprint der Hobbymarathonläufer geraten, in die Küche floh. Wir werden ja sehen, dachte er bei sich, obgleich er keineswegs bei sich zu sein schien, wir werden ja sehen, und schob sich auf den Hocker der obligatorischen Singlehaushaltsküchentheke. Regungslose Stille. Bis auf das großspurige Zittern des Whiskeyglases in seiner Hand.
Delirium Tremens. Das Wort irrlichterte neongrell durch Bernhards Gedanken, als wollte es ein „Don't drink and drive a green sofa - Spot“ im Kino sein.
Weshalb aber war es so leise, wohin war der kleine Mann im Ohr verschwunden?
War der etwa sitzen geblieben, drüben im Wohnzimmer? Unmöglich. Der saß doch in Bernhards Gehörgang oder den Ganglien oder weiß der Geier.
Oder spielte man ihm überhaupt einen Streich ganz anderer Art?
Bernhard glaubte zu begreifen, griff sich eines der scharfen Dinger aus dem Messerblock und machte sich auf die Socken, zurück ins Wohnzimmer. In einer Hand das Küchenwerkzeug, in der anderen das Glas, begann er das weitläufige Wohnzimmer zu durchforsten, schob in wackerer Manier die Vorhänge mit der Breitseite der Messerklinge beiseite um nicht gänzlich das Gesicht zu verlieren, sollte da doch einer seiner Freunde zu Scherzen aufgelegt sein, stöberte hinter Stellagen, stocherte in Schubladen, horchte an den Miniaturboxen der Hifi-Anlage.
„Hey, Kumpel, da bist ja wieder, dachte schon, ich müsste mich mit der Wand oder mir selbst unterhalten. Das blasse schlanke Ding da gegenüber ist wohl nicht so auf Konversation aus, hm? Aber elegant. Was für eine Granate. Hui.....! Apropos Granaten, also ihr beiden, ich meine, du und Carla, das muss mal gesagt werden, ihr seid ja immer da gesessen, wie die lebenden Toten. Echt! Genau wie die. Wirklich! Kein Wunder, ich meine, keine Frage, dass Carla es sich woanders geholt, ähm, besorgt....“
Bernhard begann auf das Sofa einzuhacken.
Seine Kraft packte ihn erst an dem Armen dann an den Haarwurzeln
und beutelte ihn in Rage. Mit zunehmender Wildheit, den Whiskey quadratmeterweise verschüttend, ließ er die Wut explodieren wie ein Feuerwerk und stach und fetzte und ratschte und riss, mittlerweile in die Knie gegangen, das Glas längst auf dem Teppich, den Schaft des Messers längst beidhändig gepackt, an dem verhassten grünen, wolligen, fasrigen Ding. Bis die Füllung begann herauszuquellen, gelblichen subkutanen Fetten oder Innereinen gleich. Er stach zu und stach wieder zu und vermeinte dabei ein wundes Ächzen zu hören.
Stirb, verdammt, verrecke, dachte er, während er sein Werk verrichtete. Er hörte erst auf, abrupt, als er sich des Zweihunderters, dekorativ auf das Messer gespießt, bewusst wurde. Es war überall. Das Geld. Schein um Schein quoll es aus dem Sofa.
Massen an Blutblättchen.
Als man ihn am nächsten Tag in der Bank nach dem Grund
seines Ausscheidens, nach dem Grund der Kündigung fragte, sagte er:
„ Ich habe ein grünes Sofa ermordet.“ Man ließ ihn klaglos gehen.


-//-
Legatus - 31. Jan, 15:58

Ich mag auch so ein Sofa haben...bitte bitte ;)

Schöne Bilder in meinem Kopf dank deiner Geschichte. Danke dafür :)

Nachtbriefkasten - 31. Jan, 17:14

Sofasurfer

;-)

Na, vielleicht hast Du bereits so eines.
Soll ich Dir mein Küchenbeil leihen? ;-))

(P.S.: ich arbeite nicht bei XXX-Lutz)
Legatus - 31. Jan, 18:20

Schön wäre es ja...dann hätt ich ne ganze Menge Sorgen weniger...aber ich wüsste nit wer bei mir soviel Geld im Sofa deponiert haben sollte ^^

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