Wurst

Barbara holte Rind- und Schweinefleischstücke zu gleichen Teilen aus dem Kühlraum, die dort in Nirostabehältern, neben den, dem Verfallsdatum schon bedenklich nahen Frankfurtern lagerten. Die würde sie morgen wieder abwaschen müssen unter kaltem Fließwasser. Der Geruch und eine merkwürdig schleimige Schicht, die sich rasch bildete auf den Häuten dieser Würste waren verräterisch. Verräterischer als bei anderen Wurstwaren. Dem musste man vorbeugen.
Sie griff tief hinein in das feste Fleisch mit bloßen Händen und drückte es, als wollte sie einen Lappen auswringen.
Das Fleisch: in faustgroße Stücke zerteilt, rosig, kalt, tot und doch noch den Geruch des Lebens in sich tragend. Blut. Fett. Wasser.
Sie mochte dieses Gefühl, das Fleisch mit aller Kraft zu quetschen, gewiss weit über die bloße Schmerzhaftigkeit hinaus, wäre es noch Teil eines lebenden Tieres gewesen.
Sie nahm zwei handvoll der feuchtglänzenden Stücke, warf sie auf das Fettpapier und ging, die dienstfertige Miene wieder über ihr Gesicht gestülpt, zurück in den Laden hinter die Theke, wo Fuchur sich jetzt mit Z., besänftigt, geradezu gurrend unterhielt. Bemerkenswert, wie schnell der Drache sich beruhigen hatte lassen.

Mit dem Rücken zu den beiden machte Barbara sich am Fleischwolf zu schaffen. Beugte sich darüber, drehte am Stellrad, drückte die ersten Brocken in das offene Wolfsmaul und ließ zugleich einen langen Faden Speichel in das Fleisch laufen, den sie zuvor im Kühlraum, im Mund sich hatte ansammeln lassen . Der aufheulende Motor übertönte das leise spuckende Geräusch das sie dabei machte.


Da, vor der Theke hatte diese Frau sich vorhin aufgebaut, in ihrem Mantel, in dem sie aussah, wie der Glücksdrache. Zumindest vom Schildkrötenhals an abwärts. Ausufernder blassrosa Faserpelz. Darüber ein Gesicht, das den Eindruck erweckte, als würde seine Inhaberin nie etwas anderes tun als abrechnen.
An ihrem Arm hing das Kind – wie an der Leine - ihre federhaarige Tochter, etwa neun Jahre alt, die mit offenem Mund kaute. So, wie die dabei dreinschaute, man konnte sich nicht helfen, wusste man, dass sie bereits von derselben missgünstigen Bösartigkeit ihrer Mutter war. Erledigt. Zug abgefahren.

Die Faserpelz-Mutter hatte dem Mädchen die Wurstsemmel, an der es immer noch genagt und dabei größer werdende Speichelblasen wie Kokons im Mundwinkel angesammelt hatte, grob aus der Hand gerissen. Ein kurzer hitziger Ausdruck war dabei über das blasse Gesicht der Kleinen gehuscht, Schreck, Verzweiflung, Ärger, irgendwas wohltuend verletzliches, bevor sich wieder der Grauschleier der Stumpfheit darüber gelegt hatte. Niederträchtige Kuhaugen.
Die Kleine hatte Barbara während der Tirade ihrer Mutter beobachtet, in der Art, wie Kinder ihres Alters das Kreiseln der Fliegen beobachteten, denen sie erst die Flügel und dann nach und nach alle Beine ausrissen.

Ansatzlos, grußlos, die an den zerfransten Rändern bereits aufgeweichte Wurstsemmel auf die Theke filzend, hatte die Frau begonnen sich zu beklagen, kaum dass sie sich in Stellung gebracht hatte.
Nicht bei Barbara. Bei Z., dem Chef. Ausgerechnet.
Na, der würde ihr nachher den Kopf waschen.
Über ein Stück Wurstende, das zwischen die Semmelhälften geklemmt war, dick wie ein abgetrennter Kinderfinger, hatte der Glücksdrache geschimpft, in näselndem weinerlichen Singsang, als würde er über Kopfschmerz jammern und darüber, wie hart das Leben sei. Wer das beissen solle, lamentierte die Frau, ihre Tochter sei schließlich kein Hundsvieh, zum speiben sei das. Und sie schimpfte auf Barbara, die die Semmel am Morgen zubereitet hatte, als das Kind auf dem Weg zur Schule noch geschwind sein Jausenbrot holen musste. Konnte man Kinder nicht mehr alleine zum Metzger schicken, ohne dass man betrogen wurde, nach Strich und Faden? Wirklich zum speiben sei das.
Barbara hatte ihrer Wirbelsäule die Reserve-Zentimeter abverlangt.
Das tat sie immer, wenn ihr jemand so kam. Machte sich stolz und lang, wie eine Balletttänzerin.

Z. also. Der Chef und neueste Lover ihrer Mutter. Er war gerade erst bei ihnen eingezogen. Deswegen hatte Barbara auch den Job bekommen, arbeitete an ihren freien Tagen in seinem kleinen Laden und konnte sich auf die Art gut was dazu verdienen, wovon die Steuereintreiber nichts zu wissen brauchten. Sie verachtete ihn herzlich, diesen grobschlächtigen Fleischhacker, Brauen, wie Schuhbürsten, Augen, wie Knoten in dem zirrhotischen Lederjackengesicht.
Er soff. Er betrog. Er hatte Schweissfüße. Und seine stets eigenhändig wasserstoffblondierte, kartoffelkäferartige Nochehefrau lebte nur zwei Häuser weiter und machte ihrer Mutter die Hölle heiß.
Ihre Mutter. Die hatte einen wahrhaft beschissenen Geschmack. Anders ließ es sich nicht ausdrücken. Diese kleine Frau schien auf alles abzufahren was einem Vieh näher war als einem Menschen, sie schien sich aufzurichten und festzufressen an Typen, die aussahen wie Silberrückengorillas und mit dem Charakter von potenziellen Großmuttermördern durch ihr Leben wüteten.
Z. also. Ihre Meinung von ihm war wirklich nicht die beste.

Z. hatte etwas völlig unerwartetes getan, vorhin als der blassrosa Drache sich da an der Wursttheke aufspielte. Er war für Barbara in die Bresche gesprungen. Die am Morgen, als dieses farblose Kind vor ihr gestanden hatte mit seiner Bestellung,
- Eine Semmel mit Extra um 5 Schilling - , den letzten Rest der Wurst, der normalerweise ins Katzenfutter käme, achtlos zu den übrigen 2 Deka hauchdünner Scheiben, so dünn und durchsichtig, dass sie den Namen wirklich verdienten, geschmissen hatte. Es war einer dieser graugesichtigen Wintermorgen gewesen. Aufstehen um 06:00, Piepiep Piepiep, und dann los, kurz vor sieben, mit dem Lieferwagen, der lärmte, als hätte man ein paar Kieselsteine in eine leere Blechbüchse geworfen und die geschüttelt, und in dem es immer nach etwas Rohem roch. Nicht viel mehr zu sehen durch die Windschutzscheibe, als stiebende Fetzen in dem gelben, wie gepissten Loch, das die Scheinwerfer in die Dunkelheit bohrten.

Dann: in den Laden und zusehen, dass die Heizung einigermassen in Gang kam, die Tafel beschriften mit dem Angebot des Tages: Frankfurter, na klar.
Den Kühlraum putzen, benebelt vom Geruch nach Wasserdampf, Meister Propper und Blut, der einem lauwarm in die Nase und zu Kopf stieg. Die oberste gedunsene Schicht des halbmeterdicken Hackstockes aus Holz, auf dem das Fleisch zerteilt wurde, abkratzen mit einer zähnefletschenden Drahtbürste. (Sie wollte es nicht, musste sich dabei aber immer vorstellen, wie es wäre, diese Bürste jemandem über die Haut zu ziehen.)
Auf nüchternen Magen alles, noch halb im Schlaf, halb im Schlaf.
Z. war, wie immer bevor man aufschloss, in das Baraberbeisl ums Eck gegangen, zum Frühstücken und auf ein erstes Bier. Dort saß er dann wortlos, zusammen mit den müde stierenden Schichtlern, die gerade von der Arbeit gekommen waren, während sie den Laden auf Vordermann brachte. Nicht einmal das bisschen trübe Licht, das der Tag für einen bereithalten würde, war schon angekommen bei ihr, da standen die ersten rotznasigen Schulkinder vor der Theke, trugen Schneeluft und Matsch zur Tür herein und kamen an mit ihren Kleinaufträgen.
War es ein Wunder?

Z. hatte sie verteidigt, hatte der hirnlosen Frau im Faserpelz klargemacht, dass die Wurstenden als Dreingabe zwischen die Semmelhälften kamen. Gratis und ganz umsonst. Ein kleines Extra für die treue Kundin. Natürlich gelogen. Während Barbara eine frische Semmel für das Gör an Fuchurs Arm gerichtet hatte, war Z. weiter dabei gewesen dem Drachen um den Bart zu gehen.
- Darf man sonst noch etwas anbieten auf Kosten des Hauses? Vielleicht ein halbes Kilo Faschiertes. Für Cevapcici oder Hackbraten heute Abend, wenn der Gatte heimkommt? -
Dazu sagte man natürlich nicht nein. Auch der Drache sagte dazu nicht nein. Und Barbara war mit dienstfertig gesenktem Blick im Kühlraum verschwunden um die Rinds- und Schweinsstücke zu hohlen und damit dem Fleischwolf das Maul zu stopfen.
Sie mochte diese Arbeit.

Mit einem freundlichen Blick auf das Kind, verpackte Barbara das Hackfleisch sorgfältig in zwei Lagen sauberes, strahlend weisses Papier und legte das Paket ordentlich vor den Drachen auf die Glastheke.
-So, hier bitte, für Sie.-
derdickemann - 26. Jun, 18:36

Soll man das Leben denn so schamlos verwursten? Soll man sein Dasein fristen vor oder hinter dem Spuckschutz an der Supermarktfleischtheke? Immer wieder erinnert an die Vergänlichkeit allen Seins, die da sauber in gebürsteten Stahlschalen vor einem hingestreckt liegt.
Und dann -wie zum Hohn gegenüber der Endlichkeit- der ewig junge und aktuelle Satz: "Und sonst noch?"

Ja ... was sonst noch?

Nachtbriefkasten - 27. Jun, 09:41

Sonst noch was?

Die charmante Variante des oftgehörten "..und sonst noch?" nämlich "Darf's ein bißchen mehr sein?" bietet in diesem Zusammenhang doch so eine Art Hoffnung, wenn man nicht verabsäumt rechtzeitig mit "JA!" zu antworten. Bezeichnenderweise existiert dieser Satz nur in Östereich.
Nachtbriefkasten - 27. Jun, 09:42

P.S.: In Wahrheit

gibt es keinen Spuckschutz.

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