Ausfahrt Mausefalle

Die lehmigen Klattern an den Laken sahen aus, als hätte man mit Scheiße danach geworfen. Bis gestern hatte es ununterbrochen geschüttet,
tagelang, deswegen war der Boden zu einer nachgiebigen Masse geworden
in der man wankte, wie ein betrunkener Seemann. Dabei trank Martha nie.

Seufzend klaubte sie die beschmutzen Leintücher von der Nylonschnur, die zwischen den beiden Pfeilern an der schmalen Stirnseite des Hauses zweifach gespannt war und schaute dabei voller Kummer in die verwüstete Gartenfläche hinaus. Kegelbahn, hatten die Nachbarn früher oft spöttisch dazu gesagt, weil es ein so langer schmaler Streifen war.
Die ganze weiße Wäsche.., dachte sie, ...muss ich alles noch einmal machen, und seufzte hörbar. Das Seufzen hatte sie sich angewöhnt, seit es im Haus so still geworden – seit Walter gestorben war.

Martha war eine der letzten, die ihre Wäsche an der Luft von Sonne und Wind trocknen ließ. Sie mochte das Flattern und Bauschen vor ihrem Fenster und der Duft, der in den Fasern hängen blieb, erinnerte sie an ihren Mann, an seine frischen Hemden, an denen sie so gern geschnuppert hatte, wenn er sie, selten genug, umarmt hatte. Walter pflegte eine besondere Art, einen festzuhalten,
mit dem linken Arm umschlang er ihren Hals, als wollte er sie gleich in den Schwitzkasten nehmen, mit dem rechten umfasste er ihren Rücken. Man fühlte sich sicher in dieser Umarmung. Sie sehnte sich danach. Walter fehlte.

Wie die Wilden waren sie wieder durch Marthas Garten gerauscht auf ihren
BMX-Rädern. An dem ersten sonnigen Nachmittag seit langem. Wie die Wilden, und hatten dabei ihren Rasen umgepflügt, als wär’s ein Kartoffelacker.
Mit spritzenden Reifen waren sie über das Gras geflogen und hatten sich gefreut an den klaffenden Spuren und entwurzelten Soden, die sie hinterließen, voll in Fahrt einen Blick zurück über die Schultern gewagt, hastig, um nicht in die Hecke an der Grenze zum nächsten Grundstück zu rauschen, und sich gefreut. Wie ihr zu Fleiß hatten sie die paar Bremsmanöver geübt, als sie da den kurzen steilen Abschuss herunterstürzt kamen, der das Nachbargrundstück rechts von dem ihren trennte, und so den Dreck auf ihre Laken geschleudert. Martha hatte sie beobachtet, versteckt hinter den Gardinen.
Einen der Buben hatte sie erkannt, schon neulich, als sie der Horde genauso aufgelauert hatte wie heute. Hatte ihn erkannt und dann dessen Mutter angerufen, um sich zu beklagen bei der, dass ihr andauernd tiefe Furchen in den Rasen gerissen wurden von der auf Stollenreifen daherpflügenden Bande und dass ihr Sohn auch einer von denen wäre, auch einer von den Wilden.
Der Junge, vierzehn gewiss, oder schon älter, schon weit zu groß für diese Art von Unfug, fand sie, der hatte es ihr sicher heimzahlen wollen heute, weil sie ihn verpfiffen hatte.

Martha seufzte während sie den Wäschekorb voll dreckigem Bettzeug zurück ins Haus und hinunter in die Waschküche trug, wo die Maschine derweil noch mit einer anderen Portion beschäftigt war. Mit einem Kessel Buntes. Tief und gleichförmig brummend drehte und wendete die Maschine die Textilien in ihrem Bauch, als wäre dies ein Verdauungsvorgang. Das hatte etwas beruhigendes an sich, fand Martha. Mit unterdrücktem Ächzen lud sie den Korb auf den Stuhl ab, der vor der Waschmaschine ein wenig verlegen herumstand. Ein Verirrter im Wald. Soviel nasses Zeug, dachte Martha, dafür wird die kurze Leine nicht ausreichen. Hoffentlich hält bloß das Wetter.

Sie stieg die Treppen wieder hinauf, so mühsam schon. So langsam.
Früher wäre sie hinauf gesprungen ohne auch nur in eiligeren Atem zu kommen.

Im Garten angekommen, zog sie sich ihre von Erde schorfigen Gummistiefel über, begann die bunten Kluppen abzusammeln von der Leine wie reifes Obst um dann die doppelt gespannte Schnur an deren einem Ende zu lösen.
Zwei-, drei-, viermal war die um den linken Pfeiler gewickelt. Ewig lang schon hatte sie das nicht mehr getan. Zuletzt als noch die Kinder im Haus waren, als es noch viel zu waschen gab, zwanzig Jahre musste das her sein.
Wie waren damals an den Waschtagen die bunten Kleidchen und kurzen Hosen ihrer Töchter, Walters Hemden, im Wind gehüpft.
Der ganze Garten war ein frohes bewegtes Bild gewesen.
Und jetzt?

Langsam, das ausgefranste Ende der Nylonschnur fest in der Hand, wie einen Ariadnefaden, wankte sie durchs morastige Grün, die Ackerfurchen der Radrennfahrer querend, hin zu dem einsamen Pfeiler, den Walter ihr damals dort drüben eingegraben hatte und der jetzt da stand, am anderen Ende des Gartens, wie ein merkwürdiger vergessener Totempfahl aus Beton, die kleinen abgewinkelten Ärmchen aus Eisen zum Einhängen der Schnur verschreckt erhoben. Drei-, vier-, fünfmal wickelte sie die Leine um den Pfeiler und zurrte sie fest an den Ärmchen, verknotete sie doppelt. Sie wusste, dass ihre Hände schwächer geworden waren, sie traute ihnen nicht, sie wollte die Laken bestimmt kein drittes Mal waschen, nur weil sie die Schnur nicht mehr recht zu spannen vermochte.

Manchmal hatte das Gelächter der Buben Martha aus der plüschweichen Polstergarnitur, in der sie nachmittags oft über Stunden versank, gescheucht. Doch bis sie sich unter Mühen daraus hoch gerappelt und es hin zum Fenster geschafft hatte, waren die Jungs auf ihren BMX-Rädern längst woanders. Deswegen hatte sie damit begonnen, sie regelrecht abzupassen, nachmittags, meist zwischen vier und fünf. Da machten sie ihre Ausflüge, oder auch abends, wenn es bereits dämmerte.

Die Augen mit den Händen vor der tiefer rutschenden Nachmittagssonne schützend, ließ Martha den Blick noch einmal über das Grundstück streichen, die stramm wie die Sehne eines Bogens gespannte Wäscheleine entlang, die jetzt zu ihrer Zufriedenheit die ganze Länge des Grundstücks ausmaß. Sie blinzelte über die Beete voller Dahlien, die zum Glück nichts abgekriegt hatten und hin zum Haus, das von hier aus gar so schmächtig, beinahe winzig wirkte. Darin hatten sie es gut gehabt, sie und ihre Familie. Als Walter noch lebte. Da hätten die Buben sich auch nicht getraut, so durch die Vorstadtsiedlung zu toben, wie sie es heute taten. Er hätte die Kinder ordentlich gespaukt, wie man so schön sagte. Den Rasen, gut, den würde sie wieder hinbekommen, dachte sie, und spazierte langsam wieder zurück zum Haus. Sie wischte sich die Hände mit einer ihrer typischen Bewegung an der Kittelschürze ab, die einzelnen feinen spinnwebartigen Haare aus dem Gesicht, und zog die Gummistiefel von ihren Füßen. Dann schleppte sie sich zurück durchs Haus hinunter in die Waschküche, wo sie den Korb auf dem gekachelten Boden abstellte um sich selber auf den Stuhl zu setzen. Martha hatte es sich angewöhnt, die Waschmaschine zu beobachten, während sie lief. Ein wenig aus Sorge vor irgend einem Wasserschaden. Vor allem aber, weil sie das gerne sah: wie die Kleider langsam dunkel wurden, wenn das Wasser sie tränkte und einweichte, das Umwälzen der Wäsche, die Farbspiele in dem Bullauge, die Schaumblasen. Sie mochte das beruhigende Geräusch und die dampfige Wärme der Waschküche. Nicht selten schlief sie über ihren Beobachtungen ein und auch das mochte sie. Denn guter langer Schlaf war ein selten gewordener Gast in der Nacht.

Sie erwachte, nein, sie schreckte auf, durch eine Hand die sich von hinten auf ihre Schulter legte. Beinahe wäre sie vom Stuhl gefallen, vor Schreck. Die Waschmaschine hatte wohl längst abgestellt.

Ob sie es nicht mitbekommen hätte, fragte der Polizist, der sie so sanft wie möglich geweckt hatte und nun hinter ihr stand.
Die Zeit fühlte sich für Martha an, als müsste es bereits dunkel sein draußen.

Nein, nichts hat sie mitbekommen, tief hatte sie geschlafen, endlich wieder einmal, geschlafen vor ihrer Waschmaschine. Unangenehm war es ihr, dass man sie da so vorgefunden hatte. Womöglich mit auf die Brust gesunkenem Kopf, mit offenem Mund, womöglich schnarchend. Künftig würde sie die Tür zum Garten hin abschließen müssen, dachte sie bei sich.

Nein, sie hat es nicht mitbekommen, wie sich das fröhliche, vielleicht auch hämische Lachen der Buben dem Haus, ihrem Grundstück über den kurzen Abhang herunter näherte, sie hat das Spritzen der Erde und das Scheuern der Stollenreifen nicht mitbekommen, wie sollte sie auch, hier in ihrem Keller.
Sie hat nicht mitbekommen, wie das Lachen und Glucksen und Scharren plötzlich erstarb weil die Falle zuschnappte.

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