Flugblaetter

Donnerstag, 27. Dezember 2007

Jetzt noch was über den Tod.

"Könnte doch nur ein Werk möglich sein, das ausserhalb unseres Selbst konzipiert worden ist, ein Werk, das uns erlauben würde, aus der begrenzten Perspektive eines individuellen Ichs auszutreten, nicht nur um in andere ähnliche Ichs einzutreten, sondern um sprechen zu lassen, was keine Sprache hat, den Vogel, der sich auf die Dachrinne setzt, den Baum im Frühling und den Baum im Herbst, den Stein, den Beton, den Plastikstoff." [ Italo C.]

-

Mittlerweile sind ja nicht nur Philosophen und Hirnforscher dahintergekommen, was das Dilemma UNSERER Existenz ist. Sogar der Durchschnitt macht sich schon Gedanken. Daran ist sicher das Internet schuld. Und der bereits länger zurückliegende erste Teil von Matrix. (Die Sequels waren Schrott)
Mitteleuropäischer Durchschnitt: gehobenes mittleres Alter, Haus oder Wohnung, überhöhte Miete oder Rate, geleaster Kombi oder Mittelklassewagen, Lebensversicherung, Pensionsversicherung, Unfallversicherung, Haushaltsversicherung, Kind oder Hund oder beides, überzogenes Konto, später Herzkreislauferkrankung und wegen Langlebigkeit immer wahrscheinlicher: Altersdemenz.
Das hast du dir schön ausgedacht.

Das Dilemma deiner Existenz ist die Realität, und dass sie nicht objektiv beobachtbar, also nachprüfbar ist. Vor allem nicht durch dich selbst. Und sonst ist ja keiner da. Noch nie hast du es geschafft, aus dir heraus und in nichts anderes hinein zu treten, noch nicht mal in die Scheisse, einfach nur hinaus in die Sphäre der wahrhaft reinen Objektivität um nachzuschauen was sich da draussen wirklich abspielt. Denn dann wärst du wie Gott an den du nicht glaubst.
(Dabei wäre es gleich woran Du glaubst, ob an Gott, an deine oder meine Existenz, an die der Wirklichkeit, alles ist im selben Maß absurd.)

Egal, sagst du dir, dafür gibt es schließlich Messgeräte und Maschinen, wenn ich mich auf meine fünf Sinne schon nicht verlassen kann. Sie zeichnen Erdbeben, Kursschwankungen und deinen Blutdruck auf. Sie fotografieren dein Hirn in allen Farben und bewerten dein Blut.
Objektive Messgeräte, konstruiert von objektiven Mitmenschen, die in deiner Vorstellung existieren, aber sonst nirgendwo.

Der Gedanke, all dies, das LEBEN könnte lediglich ein Konstrukt deines neurologischen Schaltzentrums sein, um dich, aus welchem Grund auch immer, am Laufen zu halten, der drängt sich immer wieder auf, vor allem wenn die Schaltzentrale Ermüdungserscheinungen zeigt, Schlampereien im Drehbuch erkennbar werden, seltsame und zuweilen unangenehme Häufungen gewisser Zustände oder Ereignisse, als ob es dem Hirn zu anstrengend gewesen wäre, eine wirklich echt erstklassige wasserdichte Story zu erfinden. In der konstruierten Realität nennen deine erdachten Wiederhersteller das dann entweder Stress, unwohl- oder gar krank sein. Wenn du es denn überhaupt bemerkst, dass Winnetou schon wieder eine Armbanduhr trägt. Meistens sind dir solche Kleinigkeiten nämlich egal, meistens gehen sie sogar unbemerkt an dir vorüber, die Aufrechterhaltung des stabilen Selbstbildes scheint wichtiger, als ein paar Fehler im Drehbuch, die daher rühren, dass deine Schaltzentrale auch nur ein Mensch, alberner Durchschnitt, und leider kein Genie ist.
Und ausserdem wollte ich dir noch etwas über den Tod sagen, aber das ist mir jetzt entfallen.

.

Dienstag, 9. Oktober 2007

Straßenphilosoph

Zum Reichsein fehlt mir alles.
Zum Armsein hab ich so viel und mir bleibt noch etwas übrig.
( Ein Balinero an der Linea 5, Kolumbien )


Mehr zur kolumbianischen Antwort auf den ADAC:
http://www.arte.tv/de/wissen-entdeckung/geo-360/mai/Die-rasenden-Engel-der-Linea-5/1177020.html

Dienstag, 4. September 2007

Voracidad Máxima (Maximale Gier)

Zwei Typen,
einer platinblond der andere grauhaarig, geischtslose Latexmasken übers Gesicht gestülpt. In flauschweisse Frottierbademäntel gehüllt fläzen sie gemeinsam auf einer Kingsize-Matratze, die ist rotbespannt, nein blau, im Halbkreis umstanden von raumhohen Spiegeln wie von Wächtern und sprechen über sich, ihren Job als Sexarbeiter in Spanien, über die Welt im Allgemeinen und ihre im Besonderen. Einer von ihnen, der Graue? scheint dabei eine winzige Kamera der Art wie Ärzte sie für Gastroskopien verwenden unter dem Frottier über seine Haut krabbeln zu lassen. Doch wer die Bewegungen der Kamera steuert wird nicht klar, der Platinblonde vielleicht? Was die Kamera in dem diffusen Halbdunkel einfängt wird auf einen Monitor, der oben im Raum über den Köpfen der beiden schwebt übertragen, während das Gespräch wie beiläufig weiterfließt, Haare wie Baumstämme, pulsierende violett geäderte Haut, eine Brustwarze, groß wie ein Berg, dunkelrote borstige Gruben, Bombentrichtern gleich, die schiere Größe, die unerhörte Nähe machen die im Grunde banalen Bilder unerträglich.
Und du denkst: Ich - die Voyerin.

Ich befinde mich im
Aue-Pavillion, D12, Kassel.
Die Künstler heissen Dias & Riedweg.

.

Donnerstag, 14. Juni 2007

Armer Hund

Menschenmassen in Bermudas, mit Socken in Sandalen und tropfenden Cornettos in den Händen schieben sich aus allen Richtungen kommend über die Seepromenade. Da begenet mir der merkwürdigste Hund, den ich je gesehen habe. Schwarz weiss gezottelt und ziemlich groß. Kopf und Schwanz hängen gleichermaßen und er schiebt gelangweilt erst die rechte seiner beiden Hälften nach vorne, dann die linke.
Rechtes Vorderbein und zugleich rechtes Hinterbein. Linkes Vorderbein und zugleich linkes Hinterbein. Ich kenne kein Tier das so geht, jedenfalls nicht persönlich.
Der Hund trottet hinter einer ausladenden Frau mit Eislutscher und einem pickeligen Halbwüchsigen her. Ich kann sehen was er denkt. (Der Hund, nicht der Halbwüchsige.) Er trägt eine Sprechblase mit sich herum, wie einen Luftballon :

Ein Kind
ist kein Rind
Ein Kind
ist geschwind
wie der Wind
Es hört
was euch stört
Es denkt
was euch kränkt
Es fragt
was euch nicht behagt
Es schreit
was ihr wirklich seid
Was es weiß
macht euch heiß
Und ihr sagt es sekkiert,
wenn es Euch irritiert.

Ich nenne den Hund Erich und gehe weiter.
An diesem Tag bin ich deprimiert.

dogman.

Montag, 11. Juni 2007

Komische Russen

Das Wasser, darüber der Wind: Gebürstetes Aluminium auf das einer mit lockerer Hand Ruß streut, oder jenes schwarze Puder, das Kriminologen verwenden um Fingerabdrücke festzustellen. Entfernt, weit hinten am Horizont, ein einzelner scharfer Schnitt, der in steilem Winkel durchs Aluminium sichelt: Ein Segler, der sich abends noch hinaus traut. Der Segler ist nicht allein in seinem Boot. Mit ihm ein Russe; seit Wochen versucht er mit dem ins Geschäft zu kommen. Dem Russen ist sichtlich schlecht, die Gesichtsfarbe käsig, seine Augen geweitet, und er schwitzt. Das ist die Retourkutsche für die Mengen an Fusel, die der Segler in den letzten Tagen hat trinken müssen (auf die große Nation Russland, auf die Russen im Allgemeinen und auf die Familie des Russen im Besonderen).
Der Russe verträgt das bißchen Wellengang nicht. Eine Landratte, wie erwartet.
Bald wird ihm der Borschtsch wieder hochkommen, den der Segler dem Russen hat füttern lassen am Nachmittag, und dann wird er den Russen soweit und das Geschäft in der Tasche haben.
Jeden Tag steht der rothaarige Stumpf in der Küche seines kleinen Restaurants und kocht Borschtsch. Er ist ein waschechter Schiffskoch aus Kiel und sieht auch so aus, seine Frau Olga freilich ist Russin, mit Heimweh. Deswegen und weil er seine Frau liebt, bereitet der rothaarige Stumpf den besten Borschtsch außerhalb Russlands zu.
Sie haben sich alle aufrichtig gefreut. Der Stumpf für Olga, weil die endlich wieder einmal reden konnte, wie ihr der Schnabel gewachsen war, Olga über den Russen und der Russe über den Borschtsch.
Das wäre so, wie wenn ich mich über Wienerschnitzel in Moskau freuen würde, wundert sich der Segler, während er dem Russen beim Kotzen zusieht.

..

Samstag, 2. Juni 2007

Wo sind die Bräute

Kotzender Rabe hockt am Vordach,
speit sich die schwarze Seele aus dem Leib.
Sein gefiederter Kumpan tänzelt um ihn herum und krakeelt.
Sieht aus, als würde er schimpfen: Hey Alter,
reiss Dich zusammen, was sollen denn die Bräute von uns denken.
Sie verdrehen beide die Köpfe.
Sind doch keine da, meint der andere.
Dann fliegen sie weg.

Montag, 14. Mai 2007

Der Lebenshungerkünstler

Gerade hörte ich zum ersten Mal in diesem Jahr den Ruf des Kuckucks, wann hab ich ihn zuletzt gehört? Ich griff gleich nach der Geldbörse um diese nach altem Brauch zu schütteln, man kann ja nie wissen. Nichts klimperte. Also schüttelte ich die Kaffeeautomatenmünzdose. Möge zumindest diese für den Rest des Jahres gut gefüllt sein.
Denn genau das, so besagt der alte Aberglaube, würde eintreten, wenn man beim Ruf des Kuckucks mit Münzen klimpert: das geschüttelte Behältnis bliebe stets voll.
Als der Kuckuck noch einmal rief, hatte ich kein Gefäß mehr zum Schütteln, also hüpfte ich nur so zum Spaß im Stand ein wenig auf und ab. Nichts klimperte. So wie es aussieht, wird alles bleiben wie es ist, das nagende Gefühl das sich vor Jahren eingenistet hat, meinen Kopf mittlerweile ganz bequem behaust wie ein manchmal lästiger aber treuer Untermieter, der Hunger, wird bleiben. Das ist nicht weiter bedauerlich, im Gegenteil. Gut gefüllt zu sein, ist was für Brieftaschen und Suppentöpfe.

...

Samstag, 3. Februar 2007

early reminder

...wenn ihnen ein mann, den sie noch nie gesehen haben, plötzlich blumen schenkt,
dann sagen sie mit einem händewacheln und diesem abwesenden blick, eigens für solche zwecke geübt, nein danke, und denken, hey, junge aus dem orient, in dem land wo ich lebe verkauft man das drachenfutter an die männer, damit sie es an ihre frauen zuhause verfüttern können, kapiert? auch nicht besser, als dort wo du herkommst, aber eben anders, sowas muss man wissen, junge aus dem orient.
wenn die blumen nach diesem (kleinen inneren) kulturchauvinistischen monolog immer noch nicht verschwunden sind, stellen sie das wacheln ein und das auge scharf und dann, ach ja, der schon wieder: valentinstag.
der versuch gequältes lächeln zu verbergen. ein kurzer gedanke an fauliges blumenwasser und stacheligen biomüll, der zu entsorgen sein wird in den nächsten tagen. doch man will keinem in seinem guten meinen zu nahe treten. irgendwie ist das todgeweihte grünzeug ja auch hübsch. und hübsch, das kommt schließlich gleich hinter nett.

..

Dienstag, 2. Januar 2007

Aus dem Leben eines Taugenichts:

Er konnte nichts, bei ihm brannte sogar das Wasser an, das er für die Packerlsuppe aufgesetzt hatte, wollte er den Kindern eine Eierspeise zusammenrühren, gab es später Butterbrot mit Zucker bestreut.
Er konnte auch keine weissen Socken, die waren nachher immer rosa. Oder grau.
Das einzige was er wirklich konnte war ein Lied,
das hatte er selbst gemacht und so klang es auch:
Die Mimi sitzt am Fensterbrett und putzt sich ihre Schuh.
Da kommt die kleine Mizi und schaut der Mimi zu!
"Mimi, was machst Du? Weinst Du oder lachst Du?"
"Ich weine nicht, ich lache nicht, ich putze meine Schuh!"
Für Mimi und Mizi war das in Ordnung,
sie mochten Packerlsuppen ohnehin nicht besonders.

Donnerstag, 19. Oktober 2006

Austrinken.

Färbt sich wieder alles in Nebel. Zaghaft bläut es nach, oben, verletzliche Haut, ein Hämatom. Die Sonne macht noch Druck wenn die Erde sich gegen Mittag dreht. Um den Kadaver eines Cheeseburgers, auf dem Parkplatz zurückgelassen, streiten sich Krähenrudel, verbreiten ungewollt Melancholie. Eintöniger werden die Nummerntafeln, der Raupengang des Verkehrs gerät in Vergessenheit bis zum nächsten brüllenden Sommer, wo sich wieder alles beklagen wird, es wäre dies früher besser gewesen. Wann ist das: früher? Das Kippen, zurück in die Ländlichkeit, jedes Jahr, wie der Besuch beim Zahnarzt. Hoffen und bangen.
Und endlich: der Stille eine Chance.

D U ?

Du bist nicht angemeldet.

F I N D E N

 

P O S T

das glaub ich jetzt nicht;)
das glaub ich jetzt nicht;)
walhalladada - 12. Feb, 19:05
Wenn Sie wieder da sind,...
Wenn Sie wieder da sind, abonniere ich Sie wieder,...
walhalladada - 20. Jan, 17:40
Schweigen ist auch keine...
Schweigen ist auch keine Lösung! Maaah!
Tanzlehrer - 31. Aug, 22:35

B I L D E R W U T

F R E S S P A K E T



Michael Köhlmeier
Idylle mit ertrinkendem Hund


Jonathan Safran Foer
Everything is illuminated

O H R E N S A U S E N


Fredo Viola
The Turn



Adam & the Ants
Prince Charming


Arcade Fire
Funeral


David Martel
I Hardley Knew Me


Kaiser Chiefs
Off With Their Heads


The Ting Tings
We Started Nothing

N A C H S I C H T

April 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 

S T A T U S

Online seit 6851 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 12. Feb, 19:05

C R E D I T S


An einen Haushalt
Aufgelesen
Bar freigemacht
Best of Leserbrief
Blaupausen
Drohbriefe
Eilzustellung
Flugblaetter
Kasperlpost
Kettenbriefe
Porto zahlt Empfaenger
Strichweise
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren