Gerade hörte ich zum ersten Mal in diesem Jahr den Ruf des Kuckucks, wann hab ich ihn zuletzt gehört? Ich griff gleich nach der Geldbörse um diese nach altem Brauch zu schütteln, man kann ja nie wissen. Nichts klimperte. Also schüttelte ich die Kaffeeautomatenmünzdose. Möge zumindest diese für den Rest des Jahres gut gefüllt sein.
Denn genau das, so besagt der alte Aberglaube, würde eintreten, wenn man beim Ruf des Kuckucks mit Münzen klimpert: das geschüttelte Behältnis bliebe stets voll.
Als der Kuckuck noch einmal rief, hatte ich kein Gefäß mehr zum Schütteln, also hüpfte ich nur so zum Spaß im Stand ein wenig auf und ab. Nichts klimperte. So wie es aussieht, wird alles bleiben wie es ist, das nagende Gefühl das sich vor Jahren eingenistet hat, meinen Kopf mittlerweile ganz bequem behaust wie ein manchmal lästiger aber treuer Untermieter, der Hunger, wird bleiben. Das ist nicht weiter bedauerlich, im Gegenteil. Gut gefüllt zu sein, ist was für Brieftaschen und Suppentöpfe.
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Nachtbriefkasten - 14. Mai, 16:35
Ich glaube ihr, obwohl ich weiss, sie lügt,
war der Gedanke der sich mantraartig in seinem Kopf wiederholte.
Killer-Loop. Eine Wohltat müsste es sein, das innere Geschwätz abstellen zu können, mit einem Knopf, wie beim Radio.
Es ist eben wahre Liebe, war das zweite Mantra, das allerdings bei Fachleuten wegen seines ausflüchtigen Tones kaum als gutes Mantra durchgehen würde.
Mein Hirn, nichts als ein Schwamm, vollgesogen mit Gedanken, die mir nicht gehören. Die ich nicht haben will. Nicht mal geschenkt.
Er stand am Balkon und schaute in den Garten hinunter.
Er sah die billige Klappliege von BayWa, leer und durchgelegen. Wie er.
Das Taxi in der Einfahrt. Nirgendwo sind die Taxis hässlicher, dachte er. Taxis passen immer zu den Menschen der Stadt, in der sie unterwegs sind. In Barcelona sind sie von einem sonnigen Gelb mit Schwarz. Ergibt Hummeln im Hintern. Hier sind sie eierschalenfarben, schal farben. Rollcontainer aus einem der Bürotürme. Alle gleich, einer wie der andere.
Das Taxi, in dessen Fond Elfriede, in Elfriedes Herz er, so hoffte er, fuhr los.
Frau Elfriede im Kostüm.
Er dachte an ihr glattes Rosa. Das feiste Fleisch. Für ihn war es ein Wunder. Auch schnellen Bewegungen hielt dieses unglaubliche Rosa stand, nichts platze auf, obwohl es so prall war.
Manchmal legte sie flüchtig den Bademantel um die Schultern, wenn sie ins Haus stelzte um Nachschub zu holen. Nachschub-Camparis, Nachschub-Sonnencreme, Nachschub-Societyheftchen. Andere Male wiederum legte sie sogar das Bikinioberteil noch ab. Und sich selbst auf den Bauch. Ihre Haut schien nicht dunkler zu werden in der Sonne. Verkehrtes glattes Rosa.
Dazu das Gelb.
Das gab es tatsächlich, Menschen, die ihre Gartenaccessoires in einer zum optischen Tod führenden Harmonie auswählten. Elfriedes Gartenliege, gelb, wenn auch nach vielen Stunden im prallen Licht wohltuend verblichen. Ihr Bikini, gelb, und das weisse Band um ihren Strohhut bedruckt mit gelben Blumen. Wenn sie Zitronen-Limonade holte oder Campari-Orange, dann stets in ihren gelben Schläppchen, ein gelb und weiss gemustertes Tablett wackelig vor sich balancierend.
In dieser Vehemenz hatte er das bisher nur auf den Seiten der deprimierenden Werbeprospekte gesehen, in den kleinen Broschüren von Kaffeeröstern, deren Ziel es war, die Haushalte ihrer Kundschaft mit überflüssigen Artikeln genau so voll zu räumen, wie es in den Fotografien vorgemacht wurde.
Elfriede, die Vorzeige-Kaffeeröster-Zusatzartikel-Konsumentin. Er liebte sie trotzdem.
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Nachtbriefkasten - 14. Mär, 19:37
...wenn ihnen ein mann, den sie noch nie gesehen haben, plötzlich blumen schenkt,
dann sagen sie mit einem händewacheln und diesem abwesenden blick, eigens für solche zwecke geübt, nein danke, und denken, hey, junge aus dem orient, in dem land wo ich lebe verkauft man das drachenfutter an die männer, damit sie es an ihre frauen zuhause verfüttern können, kapiert? auch nicht besser, als dort wo du herkommst, aber eben anders, sowas muss man wissen, junge aus dem orient.
wenn die blumen nach diesem (kleinen inneren) kulturchauvinistischen monolog immer noch nicht verschwunden sind, stellen sie das wacheln ein und das auge scharf und dann, ach ja, der schon wieder: valentinstag.
der versuch gequältes lächeln zu verbergen. ein kurzer gedanke an fauliges blumenwasser und stacheligen biomüll, der zu entsorgen sein wird in den nächsten tagen. doch man will keinem in seinem guten meinen zu nahe treten. irgendwie ist das todgeweihte grünzeug ja auch hübsch. und hübsch, das kommt schließlich gleich hinter nett.
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Nachtbriefkasten - 3. Feb, 13:53
Manchmal am frühen Nachmittag bekomme ich heiße Sohlen, wissen Sie, wie Kochplatten. Kochplattfüße. Obwohl ich tagsüber und am Rest des Körpers friere. Am schlimmsten im Frühling und im Herbst. Im Winter dagegen ist es kalt und im Sommer heiß genug um nicht dauernd von innen heraus zu frösteln. Und nachts: Ich schlafe, wenn es die Umstände erfordern, im T-Shirt, meistens erfordern die Umstände das nicht. Sogar wenn ich nackt bin und Winter ist und die Decke ganz dünn, werf' ich sie im Schlaf von mir, denn unter der Decke herrscht die Wüste Gobi um 12:00 Uhr Mittags. Trocken und heiß wie Dünensand.
Der chinesische Heiler aus Oberösterreich meinte: Sie sind eine Heißläuferin, Margarita. Ich hab an meinen letzten Wutanfall denken müssen und, ja, ich weiß eh.
Sie sollten kein Brot essen, bemerkte der Chinese, das weiße Mehl und so. Eierteignudeln auch nicht. Obwohl Eier ohne alles nicht so schlecht sind, roh. Cornflakes? Aber sicher nicht. Es klang direkt verächtlich, wie der Chinese den Satz ausspuckte, als hätte man ihn gerade gebeten Fast Food von Würger King zu essen. Ohne Cornflakes sterb' ich, und das ist deprimierend, hab ich ihn angemault. Mein Widerspruchsgeist, wissen Sie, mit Handzeichen. Hinter meiner Stirn im vorderen Jammerlappen konnte ich sein nervöses Gezappel genau spüren. So schnell stirbt man nicht, entgegnete der Chinese, aber wenn Sie nichts tun um ihren Energiehaushalt auszugleichen, fackeln Sie demnächst noch unser ganzes Haus hier ab. Und sich selbst auch, beeilte er sich zu ergänzen.
Als in der Woche zuvor die Stichflamme plötzlich aus meinem linken Fußknöchel geschossen ist, das hat mir tatsächlich einen Mordsschrecken eingejagt. Im Internet hab ich dann, auf den Tipp des Chinesen hin, der mir die ebenerdige Einliegerwohnung seit einem Jahr vermietete und zu dem ich mich in meinem Schreck mitten in der Nacht und mitsamt meinem unversehrten Knöchel gerettet hab, *Spontane Menschliche Selbstentzündung* gegoogelt. Zunächst bin ich bloß auf South Park gestoßen. Haha, hab ich mir gedacht, und die Kapuze enger um den Kopf gezogen, kein Mensch wird dir das Ding mit der Stichflamme glauben. Aber wenn die von South Park sich darüber lustig machen, muss doch was Wahres dran sein. Ich weiß noch, wie ich den Gedanken mit Rotstift korrigiert hab: Wenn dir persönlich eine Flamme aus dem linken Bein schießt, dann, Margarita, muss was Wahres dran sein.
Ich hab also begonnen hauptsächlich Zeug, ziemlich schleimiges Zeug, das der Chinese empfohlen hat, zu mir zu nehmen. Kalte Getreidebreie mit Dings, zerkochtes Obst, Misosuppen, fischhäckselgefüllte und gedämpfte Reisteigtaschen. Dazu hab ich mich vom Chinesen am Handrücken und im Gesicht stechen lassen und ein wenig Yoga und Autogenes Training für Anfänger versucht. Außerdem hab ich alle seine Bücher über die Fünf Elemente und sogar die als Lesezeichen in den Büchern vergessenen Broschüren zum Thema Granda Wasser gelesen. Die Kur des Chinesen schien zu wirken, denn schon bald hab ich nicht mehr nur tagsüber sondern auch nachts gefroren, was ganz normal für eine Frau wäre und ein Zeichen der Wandlung, wie der Chinese beteuerte. Die heißen Sohlen waren dafür Geschichte. Ich musste Socken im Bett tragen und fand den Winter kalt und den Frühling lau, wie es sich gehört. Auch die Wutanfälle wurden weniger. Woraufhin sich übrigens mein Freund von mir getrennt hat, weil er mein Temperament so vermisste. Wenn er nicht mit kann, ist es wahrscheinlich eh besser er geht, vermutete der Chinese. Stichflammen gab es zu dieser Zeit jedenfalls keine mehr. Ich war überzeugt, dass es sich dabei ohnedies um ein Singulärereignis gehandelt haben muss. Ich meine damit, so was passiert einem nicht alle Tage.
Ein halbes Jahr nachdem Walter gegangen ist bin ich beim Chinesen im oberen Stock eingezogen und wunderte mich erst einmal darüber wie viel Raum ein Mensch ganz für sich beanspruchen kann, wenn er die Möglichkeit dazu bekommt. Wir wohnen wie die Kolonialherrn Herb, hab ich zu ihm gesagt. Wirklich, das hab ich immer wieder betont, weil für mich ist soviel Platz ja nicht nötig, braucht kein Mensch. Seit ich bei ihm lebe, nenn ich den Chinesen Herb, für Herbert. Früher hab ich Herr Herbert zu ihm gesagt. Herr Herbert gefällt mir besser, aber das bring ich bei ihm nicht durch. Es ist unpersönlich sich gegenseitig mit Herr und Frau anzusprechen in einer Beziehung, sagt Herb. Er nennt unser Zusammensein andauernd "Beziehung". Dann eben Herb. Immer noch besser als Herbert, Herr Bert! Ja, wissen Sie, ich red von ihm immer als wär er noch da.
Durchtränkt von Mariendisteltee und Artischockenextrakt hab ich mich mit der Zeit gefühlt, glauben Sie mir, und anstelle des zeitweiligen inneren Fröstelns mit den brennend heißen Füßen und den Hitzwallungen nachts, trat nun ein Äußeres - all over - Gezitter und Zähneklappern. Und es hielt an. Die ganze Zeit. Schütteln. Bibbern. Blaue Lippen.
Also hab ich die Therapie irgendwann mehr oder minder heimlich abgebrochen. Der Chinese, also Herb, wäre gekränkt gewesen, wenn ich, mir nichts dir nichts, einfach aufgegeben hätte. Es war nicht leicht zu verbergen, dass ich keine lauwarmen Misosuppen und Dim Sum mehr gegessen und keine seiner selbst gemachten Teemischungen mehr getrunken habe, oder ihm das Herumgesteche auszureden. Die Akupunktur abzubrechen und Herb glauben zu lassen, dies sei seine Idee, war das schwierigste. Andererseits, als Herb merkte, wie meine Laune sich hob und auch die Temperatur meiner Hände und Füße, da fragte er nicht lang nach, weshalb ich immer häufiger auswärts esse. Im Gegenteil, er sah die Besserung meines Zustandes als Beweis für den Erfolg seiner Therapie, siehst, meinte er immer voll Stolz, hab ich Dir's nicht gesagt, Geduld muss man haben und warten können und dann, siehst, es wirkt, der Ausgleich ist nah. Da konnte ich meinen Schwindel erst recht nicht mehr aufklären.
In diesem Jahr, gerade als ich mich rundum wohl fühlte, hat Herb mich gebeten ihn zu heiraten. Ich hab zugesagt, ich war optimistischer Stimmung und es wurde auch Zeit für ein großes Fest. Besonders großartig wurde das Fest schließlich doch nicht. Aber immerhin, das alte Zirkuszelt meines Großonkels haben wir voll bekommen.
Bald darauf ist es dann passiert. Die Stichflamme. Genau aus der selben Stelle wie letztes Mal. So wie andere Leute immer an der selben Stelle Fieberblasen bekommen, wenn sie sich über etwas arg aufregen oder ärgern. Wir haben nämlich gestritten bevor es geschehen ist. Es hatte mit der Möblierung im Schlafzimmer und Feng Shui zu tun, ich glaube, er wollte den Spiegel draußen im Gang und ich wollte ihn drinnen im Zimmer, oder umgekehrt, genau kann ich das nicht mehr sagen. Ich weiß nur noch, dass ich wütend wurde, und da schoss auch schon Feuer aus meinem Knöchel. Sekunden später ist der ganze Raum in Flammen gestanden und eine halbe Stunde danach war das Haus quasi weg. Und Herb auch. Die haben ihn nie gefunden. Nur ein großes verkohltes Loch, dort wo er zuletzt gestanden hat, in unserem Schlafzimmer. Ich bin raus gerannt und hinunter durch das Treppenhaus den Flammen davon und dachte die ganze Zeit, er wäre dicht hinter mir, aber als ich endlich dazu kam mich umzudrehen, war da keiner.
Die Feuerwehr meinte, unser Beileid Frau Margarita, und, sieht irgendwie nach einer Gasexplosion aus. Komisch fanden die nur, dass es in dem Haus keine Gasleitungen gab.
Nachtbriefkasten - 3. Feb, 13:45
Warum ist alles so weit weg?
Warum dreht sich die Erde einmal pro Tag?
Ist alles gleich weit weg?
Was denkt mein Hund?
Wer bezahlt mein Bier?
Wie heisst dieser Wald?
Wo ist mein Bett?
Ist dieser braune Knollen essbar?
Soll ich ein Loch graben?
Sind Tiere Menschen?
Kann man Dripsdrüh nur zu Fuss erreichen?
Kommt der Gestank von draussen?
Ist mir zu warm?
Fährt noch ein Bus?
Wo sind meine Schlüssel?
Soll ich einen Turm bauen?
Wann kommt das Geld?
Warum ruft er/sie/es nicht an?
Wer regiert die Stadt?
Was geschah vor 4,56 Milliarden Jahren?
Wie lang ist der Nil?
Was macht 42 x 87?
Wem nützt der Mond?
Ist mein Dasein erfüllt mit Heiterkeit?
Soll ich mich betrinken?
Noch ein Gläschen?
Stinke ich?
Darf man beim Musikhören die Augen schliessen und Landschaften ..ähm..farbige Bilder sehen?
Muss ich mir den Kosmos wie Schaum vorstellen?
Geht man beim Einschlafen durch eine Wand?
Soll ich liegen bleiben?
War ich ein gutes Kind?
Bin ich zu weich?
Reicht das?
Nachtbriefkasten - 10. Jan, 12:40